Der „Neue Bahnhof“ in Warendorf
von Mechtild Wolff (16. 2. 2022)


Der "neue" Bahnhof Warendorf


Wenn meine Großmutter verreisen wollte, dann begann ihre Zugfahrt am „Neuen Bahnhof“. Der wurde zwar schon 1902 erbaut, aber die Tatsache, dass die Warendorfer ihren schönen „Alten Bahnhof“ schon nach 15 Jahren wieder aufgeben mussten, war unvergessen. Nun aber war der neue Warendorfer Bahnhof ein Eisenbahnknotenpunkt mit Rangiergleis, Verlade-Rampe, Unterführung und Lokschuppen. Man konnte nicht nur nach Münster und Rheda Wiedenbrück fahren, sondern auch nach Freckenhorst, Westkirchen, Ennigerloh und Neubeckum. Der Bahnanschluss war auch für die kleinen Orte von entscheidender Bedeutung. So konnten z.B. die Freckenhorster Webereien die fertigen Stoffballen direkt zum Bahnhof in Freckenhorst bringen und Rohstoffe dort abholen. Nur das Expressgut wurde nach wie vor mit Pferd und Wagen zum Güterbahnhof in Warendorf gebracht. Ja, die ländliche Region war nun auch verkehrstechnisch an die große, weite Welt angebunden. Geschäftliche Auslandbeziehungen bestanden schon lange. Die Firma Kreimer in Freckenhorst exportierte schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bis nach Amerika, die Firma Breede lieferte nach Shanghai und auch die Warendorfer Weberei Brinkhaus hatte viele Kunden im Ausland.

 

Sperriges Gut wurde von der Landmaschinenfabrik Hagedorn und der Eisengießerei Amsbeck und der Firma Bruch direkt am Güterbahnhof angeliefert und abgeholt.

 


Die Firma Hagedorn liefert Maschinenteile zum Bahnhof

  

Friedel Niemeyer und Paul Perdun im Schalterraum
Das neue Warendorfer Bahnhofsgebäude war gut ausgestattet mit einer Schalterhalle und einer Gaststätte. Hier warteten die Reisenden vor Regen und Wind geschützt auf den Zug, hier kauften sie ihre Fahrkarte am Fahrkartenschalter. Hinter der Glasscheibe mit dem kleinen Sprechfenster verkauften die beiden Bahnbeamten Friedel Niemeyer und Paul Perdun bei Bedarf Fahrkarten sogar bis nach Moskau, aber auch Bahnsteigkarten für 10 Pfennig, denn einfach auf den Bahnsteig gehen durfte damals niemand.

Erst kurz vor Eintreffen des Zuges öffnete die Sperre, die von zwei uniformierten Bahnbeamtem besetzt war. Auf der einen Seite wurden die Fahrkarten der abfahrenden Reisenden kontrollierte und abgeknipst, auf der anderen die der ankommenden Fahrgäste entwertet. Natürlich wurde auch die Bahnsteigkarte abgeknipst, damit sie nicht ein zweites Mal verwendet werden konnte. Die Bahnsteigkarte war notwendig, wenn man jemanden zum Zug bringen wollte oder vom Zug abholen wollte. Es galt früher als unhöflich, einfach nur hinter der Sperre zu warten, man wollte ja auf dem Bahnhof mit dem Taschentuch winken.

 

"Zurücktreten von der Bahnsteigkante, der Zug fährt ab" 1950: Die Post wird aus dem Zug
in den Postkarren geladen

 

Bei Ankunft des Zuges suchten die Reisenden sich eiligst ein noch nicht so belegtes Abteil in der 2. Klasse, auch

Otto Göcke
 am Vorläufer
des Andreaskreuzes
Holzklasse genannt, denn hier saß man auf ziemlich harten Holzbänken. Die  1. Klasse mit den gepolsterten Sitzen leisteten sich nur sehr wenige Reisende. Der letzte Waggon des Zuges war immer der Postwagen.    Sobald der Zug ankam wurden Briefe, Päckchen und Pakete aus dem Postwaggon in den hölzernen Warendorfer Postkarren umgeladen und die ausgehende Post wurde in den Zug eingeladen. War alles fertig, konnte der Schaffner mit seiner Trillerpfeife pfeifen und der Zug fuhr ab. Den Postkarren beförderten dann drei Postbeamte zum nahe gelegenen Postamt - zwei zogen, einer schob.

Die Fahrt mit dem „Pängel-Anton“ war immer ein besonderes Vergnügen. Seinen Namen hatte er wegen des dauernden Pängelns und Pfeifens auf der Strecke, denn immer wenn am Trassenrand ein weißes Schild mit einem schwarzen P (Pfeifen) erschien, musste der Lockführer das Fußpedal betätigen und ein marker-schütternder Pfiff ertönte und warnte alle, die sich an einem der zahllosen Bahnübergänge befanden. Das Andreaskreuz als Warnung an einem unbeschrankten Bahnübergang war noch nicht erfunden, aber das „Halt“- Schild erklärte die Gefahr ausführlich. Für die 26 km bis Münster brauchte der Zug damals 85 Minuten, denn er fuhr höchstens 25 Stundenkilometer und musste an vielen Bahnhöfen anhalten, am Klauenberg, in Raestrup, Telgte, Jägerhaus, Handorf und Mauritz und erst dann erreichte der Zug in den Hauptbahnhof in Münster. Heute fährt der Zug in 33 Minuten nach Münster und stoppt aber nur noch in Telgte und am neuen Haltepunkt Müssingen. Das Problem der vielen unbeschrankten Bahnübergänge ist immer noch nicht gelöst, sonst könnten die Züge bequem alle halbe Stunde von Warendorf nach Münster fahren.

 


Der brennende Warendorfer Bahnhof

 

Der Bahnhof brennt! So ging es am 13. Januar 1995 wie ein Lauffeuer durch Warendorf. Hunderte Schaulustige beobachteten mit Grausen, wie ihr kompletter Bahnhof ein Raub der Flammen wurde. Die Brandursache wurde nie gänzlich geklärt, man geht aber von Brandstiftung in einer Halle des Güterbahnhofs aus, in der die Inlettweberei Brinkhaus Federbetten gelagert hatte. Der Brandschaden war so groß, dass der gesamte Bahnhof abgerissen werden musste. Nun gab es nur noch einen Fahrplanaushang und den Fahrkartenautomaten auf Bahnsteig. Wie gut, dass der Kiosk von Frau Kirsch an der Ecke Wilhelmstraße nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dort können sich nach wie vor die Bahnfahrer ihre Zeitung und das Brötchen kaufen und die neuesten Nachrichten des Tages hören. Einen Vorteil hatten die Autofahrer. Sie konnten nun direkt bis an den Bahnsteig fahren und wenn sie Glück hatten, dort sogar parken. Ein Dauerzustand aber sollte das leider nicht sein.

Viele Jahre lang forderten die Bürger: Warendorf braucht einen neuen Bahnhof! Die Deutsche Bundesbahn wollte wohl den Warendorfer Bahnhof in das „100 Bahnhöfe-Programm“ aufnehmen, das aber nur den Bau eines Bahnhofs, nicht aber eines Bahnhofsgebäudes beinhaltete. Das Bahnhofsgelände sollte verkauft werden. Die Stadt Warendorf suchte noch eine Lösung, als die Bahn im Januar 2000 Fakten schaffte und das Bahnhofsgelände an die h&w Immobilien aus Harsewinkel verkaufte. Die planten auf dem Gelände ein Geschäfts- und Bürogebäude, evtl. auch ein Ärztezentrum. Den Warendorfern wurde schnell klar, ein richtiges Bahnhofsgebäude mit Fahrkartenschalter, Auskunft und Gaststätte wird es wohl nicht mehr geben. In dem Bürogebäude sollte aber im unteren Bereich ein Aufenthaltsraum mit Fahrplanaushang sein, wo man an einem Fahrkartenautomaten seinen Fahrschein ziehen konnte.

 

 

Am 14. Dezember 2003 wurde dann der „neue Bahnhof“ eingeweiht. Er bestand aus einem Bahnsteig, einer Unterführung, einem Fahrradparkhaus, einem Parkplatz und einem großen Bahnhofsvorplatz. Da ein Aufzug für die Unterführung zu teuer und vor allem zu störanfällig geworden wäre, wurde ein zweiter Zugang an der Zumlohstraße gebaut. So waren beide Geleise plangleich erreichbar.

Nun konnte der erste Zug in den neuen Bahnhof einfahren. Die Deutsche Bahn hatte sich allerdings von dieser Nebenstrecke verabschiedet, die „Nordwestbahn“ trat die Nachfolge an und präsentierte der staunenden Bevölkerung einen eleganten, modernen Zug, ausgestattet mit gepolsterten Sitzen mit Kopfhöreranschlüssen, Fahrkartenautomaten in den Abteilen und großzügigen Fahrradplätzen. Ja, man konnte sich sogar für 50 Cent an Getränkeautomaten heißen Kaffee und Tomaten- oder Spargelsuppe kaufen. Fast geräuschlos schnurrte der Zug Richtung Münster. Das war wirklich eine neue Bahn Ära. Der Güterverkehr wurde allerdings ganz eingestellt.

Der Bahnhofsvorplatz wurde aufwändig und großzügig mit vielen Lampen und einer Arkaden-Baumallee gestaltet, geplant vom Warendorfer Architektur-Büro  Klein/Riesenbeck. Das Bahnhofsgebäude aber wurde zu einer unendlichen Geschichte. 2003 musste die Immobilienfirma h&w Konkurs anmelden und auch all die nachfolgenden Investoren kamen zu dem Schluss: Ein Bürogebäude am Bahnhof rechnet sich nicht! Noch heute befindet sich neben dem Bahnsteig eine Rasenfläche - vielleicht Gott sei Dank, denn wenn man sich hier ein dreistöckiges Gebäude vorstellt, dann könnte das schon sehr beengend wirken.

Auf den Bahnhofsvorplatz wurde 2009 nach der Auslobung des Wettbewerbs „Kunst am Bahnhof“ ein Kunstwerk aufgestellt, getreu der Vorschrift „2% der Bausumme für Kunst am Bau“. Die Jury entschied sich für das Skulpturenensemble  „Urbanes Baumzeichen“ des Beckumer Künstlers Ulrich Möckel, eine 3,50m hohe Skulptur aus spiegelndem, poliertem Edelstahl, die mit einer vierteiligen Sitzgruppe aus anthrazitfarbenen Betonsteinen vor Heitmanns Geschäftshaus an der B64 korrespondiert. Die Warendorfer Künstler waren nicht sehr begeistert, dass nicht ein heimischer Künstler, z.B. Demir Demiroski mit seinem Sprinter oder Rolf Pfand mit einem Warendorfer Schmiedekunstwerk zur künstlerischen Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes beitragen durften.



Das war einmal unser Bahnhof


Mechtild Wolff                                       

 

 

Quellen: Zeitzeugenberichte und eigene Erinnerungen

              Werner Ströker: Geschichte(n) aus Warendorf

               Presseberichte und Ratsprotokolle

Bilder:    Archiv der Altstadtfreunde und Archiv Wolff

 

 

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