Paul Schallück (* 17. Juni 1922 in Warendorf; † 29. Februar 1976 in Köln)
Gedenkfeier für Paul Schallück – den in Warendorf geborenen Schriftsteller und Mahner
Termin: 16. 6. 2022
von Norbert Funken (2022)

Geburtshaus von Paul Schallück
Am 17. Juni 2022 jährt sich der Geburtstag des in Warendorf geborenen Schriftstellers Paul Schallück zum 100. Mal.

Am Vortag, dem Fronleichnamstag, 16. Juni 2022, gestaltet der Heimatverein eine Gedenkfeier, die an seinem Geburtshaus an der Hohen Straße 24 um 17 Uhr beginnt. In dem neben dem Schallück-Haus liegenden kleinen Park am Emskolk werden Klaus Gruhn, Norbert Funken und Dr. Paul Leidinger aus Leben und Werk des bedeutenden Nachkriegsschriftstellers berichten. Es werden genügend Sitzgelegenheiten bereitstehen.

 

Wer war Paul Schallück?

Er war einer der bedeutenden Schriftsteller der Nachkriegsjahre. Seine Neigung zur Literatur hatte er vom Vater mitbekommen, der als Buchbinder im Verlag Schnell beschäftigt war, der auch dessen Schriften als Heimatdichter veröffentlichte. Heinrich Schallück (1894–1972) war verheiratet mit Olga (1901–1989), die er im Ersten Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien kennengelernt hatte. Auf abenteuerliche Weise floh er mit ihr über Wladiwostok, China und Indien nach Warendorf in Westfalen. Mutter Olga hat ihren Sohn Paul am stärksten geprägt: Als Russin, die sich zeitlebens mit der deutschen Sprache schwertat und als gläubige Frau der Ostkirche fiel es ihr schwer, sich in Warendorf zu integrieren und von Seiten der Bürger schlugen ihr Unverständnis und Misstrauen entgegen. Es war die Zeit zwischen den Weltkriegen: Der Erste Weltkrieg - Russland gehörte zu den Kriegsgegnern - war noch nicht vergessen, der Versailler Vertrag brachte das Land in wirtschaftliche Nöte, die Inflation bahnte sich an. Für Ausländer, die in der Stadt heimisch werden wollten, fühlte man weder Verantwortung noch Mitgefühl. Fremde blieben Fremde in unserem Land; man duldete sie, hielt aber eine innere Distanz. Den jungen Sohn Paul prägte diese Haltung, er tat sich schwer mit seiner Heimatstadt, „in der er geboren und die ihn großgezogen hat“. In seinen Schriften ist dies zu spüren: es fielen harte Worte und es wurde ihm heftig heimgezahlt. Dachte man in Warendorf nicht an die Worte der Dichterin Droste-Hülshoff, mit denen sie die Judenbuche“ einleitet und vor gedankenlosen Urteilen warnt: „Wer wagt es, …zu wägen jedes Wort, das unvergessen in junge Brust die zähen Wurzeln trieb?“ Am Ende einer unseligen Auseinandersetzung haben sich beide Seiten, die Bürgerschaft und der Schriftsteller, versöhnt. Bei seinem letzten Besuch in seiner Vaterstadt stellte er mit Genugtuung fest: „Man ist mir freundliche begegnet und man hat mich nicht mit Pferdeäppeln beworfen.“ Die Stadt hat, allerdings viele Jahre später, eine Straße und den großen Saal des Theaters am Wall nach Paul Schallück benannt.

1940 besuchte Schallück für wenige Monate das Gymnasium Laurentianum, wurde 1941 zur Wehrmacht verpflichtet, also mit 18 Jahren, und kam 1946, im Krieg in Frankreich verwundet, nach monatelanger Kriegsgefangenschaft, nach Warendorf zurück. Fünf Jahre später veröffentlichte er seinen ersten Roman: „Wenn man aufhören könnte zu lügen“, danach die Erzählung „Weiße Fahnen im April“, eine erdachte Begebenheit, die er in Warendorf spielen ließ.

Die erste öffentliche Auszeichnung war der Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. 1934 vom damaligen Regime gestiftet und damit schwer belastet, wurde er nach dem Krieg vom Landschaftsverband Westfalen übernommen und ist für „herausragende Leistungen“ westfälischer Literaten gedacht.  Schallück nahm 1955 diesen Preis an, doch mit den vor ihm Geehrten wollte er nicht in einem Atemzug genannt werden und ein westfälischer Heimatdichter wollte er auch nicht sein!

Er setzte sich bewusst von jeder Heimatliteratur, von dem, was Autoren vor ihm über das Vaterland, über Bodenständigkeit, über stolze Eichen und ebensolche Männer geschrieben hatten, ab. Er ging auf Konfrontationskurs, bemängelte die Nachkriegspolitik und die unkritische Haltung der Bevölkerung zu dem, was in den Jahren seit 1933 die Menschen  stumm und verlogen gemacht hatte. Die Spannungen nahmen zu, Schallück, mittlerweile nach Köln gezogen, wo er Germanistik studierte,  lehnte eine Einladung nach Warendorf ab.

1959 erschien sein bekanntestes Werk, der Roman Engelbert Reineke. Der Fischer Verlag brachte es als Taschenbuch heraus,  ungewöhnlich für eine Erstausgabe, und machte es so in mehreren Auflagen mit 40.000 Exemplaren einer breiten Leserschaft bekannt. Die Handlung spielt in einem Ort mit Namen Niederhagen.  Schallück gab unumwunden zu – und der ortskundige Leser merkt es auch sofort – damit ist Warendorf gemeint. Vielleicht haben sich

die Leser zunächst auch gefreut, vertraute Örtlichkeiten anzutreffen. Vom Schwarzen Kolk ist die Rede, vom Kriegerdenkmal auf dem Marktplatz und immer wieder von der Promenade, umsäumt von duftenden Linden.

Doch es ist eine scheinbare Idylle. Hinter den „weißgekalkten Fassaden“ versteckt sich eine Bürgerschaft, die nichts aus der grausamen Vergangenheit gelernt hat. Die sich „vor einen Karren“ hat spannen lassen, „bekränzt zum Kirchweihfest einer neuen Religion. Und das braune Kalb haben sie umtanzt …und die Fahnen geschwenkt“. Das tat weh, das weckte Empörung, der Autor wurde zum „Nestbeschmutzer“ abgestempelt. Schallück hält dagegen:

Literatur muss „hervorlocken aus der Dämmerung des Nichtsehens, hervorrufen aus Stumpfheit und Gleichgültigkeit…Rücksicht (wäre) Bestätigung des Bekannten, des eingewöhnten Geschmacks, ist Erstarrung“.

Der Dichter Siegfried Lenz schrieb über Schallück:  „So direkt, so ungeduldig und anklägerisch

hat wohl kein Schriftsteller der Nachkriegszeit nach dem Verbleib der Wahrheit gefragt.“

Das taten mit Schallück auch andere. In der Gruppe 47, einer Vereinigung junger Literaten, der er angehörte, erhoben viele warnend und beschwörend ihre Stimme, doch nicht in den alten Bahnen dahinzudämmern und im Wohlstand das neue Goldene Kalb anzubeten. Wolfgang Borchert, Günther Grass und Heinrich Böll, freundschaftlich verbunden mit Schallück, sind die bekanntesten Mahner in dieser Zeit.

Der Roman „Engelbert Reineke“ spielt im roten Backsteingebäude des alten Laurentianum. Hauptfigur ist ein Lehrer mit dem Spitznamen Beileibenicht, der sich, mal versteckt, indem er Heinrich Heine zitiert, mal offen gegen das Naziregime stemmt, sich für Gedankenfreiheit und Selbstbestimmung einsetzt und dies mit Verhaftung und Ermordung bezahlen muss.

Das Vorbild dieser Romanfigur ist Jans Lübbers, dem Schallück mit diesem Roman ein Denkmal setzen wollte.

Mit „Don Quichotte in Köln“ schrieb Paul Schallück seinen zweiten, allerdings diesmal   erfolglosen Roman. Bekannter geblieben sind die zahlreichen Reden und Aufsätze, in denen er zu aktuellen Problemen der jungen deutschen Republik Stellung bezog. Honoriert wurde das mit zahlreichen Ehrungen und Preisen. Paul Schallück verstarb 1976 mit nur 54 Jahren in Köln.

 

Der Roman „Engelbert Reineke“ mit den Parallelen zu Warendorf, den bekannten Orten und ihrer stimmungsvollen Beschreibung, in denen Schallücks Liebe zu seiner Heimatstadt mitschwingt, bildet den Schwerpunkt der Gedenkstunde, die der Heimatverein am kommenden Donnerstag (Fronleichnam) anbietet. Treffpunkt um 17 Uhr ist Schallücks Geburtshaus an der Hohen Straße 24.

 

Norbert Funken

 

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